Rainer Hoffmann, Kunsthistoriker, Künstlerhaus Schloß Balmoral, Bad Ems.


Erste Etage

Die Eingangshalle des ehemaligen Hotels, in der einst zahlreiche Gäste begrüßt wurden, wartet mit einer einprägsamen optischen Raumgestaltung auf: Magentafarbene Rauten, Trapeze und Dreiecke in verschiedenen Größen sind über Wände und Decken verstreut angeordnet und leiten den Blick unweigerlich in zentralperspektivische Tiefen. Dadurch, dass die Polygone von Achim Zemann allen Erhebungen und Vertiefungen folgen, entwickeln sie sich vom bloßen Muster mit Anklängen an die 1950er Jahre zu raumbestimmenden Elementen. Ihre Wirkung verstärkt sich durch den Komplementärkontrast zur grün gestrichenen Außenfassade des Hotels und bildet eine programmatische Visitenkarte des ehemaligen Hotels.

Die mit malerischen Mitteln errichtete Rauminstallation von Jan van der Ploeg ist ebenfalls von außen gut sichtbar: An Decke und Wänden verlaufen vier Streifen fluoreszierender Farbe, die so miteinander verwoben sind, dass sie vor dem pechschwarzen Hintergrund ein optisches tragfähiges Gerüst ergeben. Von Schwarzlicht angestrahlt errichtet sich eine Architektur in der Architektur im Zimmer 103, das von der Straße aus als „Lockvogel“ funktioniert und schon seit September 2009 als hors d’oeuvre im verlassenen Haus für die Ausstellung wirbt.

Ein einziger Gast wurde auf unbestimmte Zeit im Zimmer 102 einquartiert: „Der verwunschene Gast“ von Antonia Low. Die Skulptur an der Decke und am Boden einem organischen (ein Bonsai) und einem anorganischen (Strom- und Wasserkabel) Teil. In der medizinisch anmutenden Versuchsanordnung wurde die Pflanze durch Abschneiden aller Blätter auf beinahe null zurückgesetzt. Permanenter Wasser- und Lichtzufuhr ausgesetzt, wird ausgelotet, ob und inwiefern sie sich unter den gegebenen (Umwelt)bedingungen entwickelt – eine Paraphrase auf die Zukunft des todgeweihten Gebäudes, das temporär nochmals Leben birgt.

Das Ausloten von Geschichte und ihrer Umschreibungen ist auch das Thema im Zimmer 101 schräg gegenüber, das von einer historischen Begebenheit ausgeht: 1989 wurde einer Sekretärin des Bundeskanzleramtes der Prozess gemacht, weil sie in den 1970er und 1980er Jahren geheime Unterlagen an einen Agenten des KGB weitergeleitet hatte. Das Tragische daran: Sie tat dies aus Liebe, denn der vom KGB beauftragte Spitzel machte ihr Avancen, um sein Ziel zu erreichen. Cony Theis entwickelt, ausgehend von Gerichtsillustrationen mit Portraits der Angeklagten, ein fiktives Szenario über eine Liebesaffaire zwischen Ost und West, zwischen „Romeo“ – so der Titel der Arbeit – und Julia die, wie in Shakespeares Stück, ein tragisches Ende hat.

Eine formale Verbindung zum politischen Verwaltungsapparat evoziert die Arbeit mit dem Titel „Cover 21“ von Ivo Hartmann. Mit grünen und orangefarbenen vertikalen Streifen sind die Fenster und Wände des Zimmers 119 verblendet, die sich erst bei näherem Hinsehen als Versatzwerk aus Notizhaftblättern, ziegelschichtartig in akkurater Weise übereinander geklebt, entpuppen. Raumbestimmendes Element ist eine säulenartige Skulptur, die von der Deckenlampe bis zum Boden reicht. Aus unzähligen aneinander gereihten Briefklammern bestehend, erinnert das messingfarbene Gebilde an Designerleuchten der 1960er Jahre. Im absoluten Kontrast zu der feingliedrigen Arbeit ­Hartmanns steht die Installation von Paul Schwer im Zimmer 105: Mithilfe meterlanger Neonröhren – zu einem Bündel zusammengefasst – wird ein Meteoriteneinschlag inszeniert, der durch die Wand zwischen Schlaf- und Badezimmer ein riesiges Loch reißt. Das Farbspektrum aus Pink, Gelb, Blau und Weiß beleuchtet das selbst hergestellte Szenario der Zerstörung, in dem jedoch irritierenderweise ein makelloses, frisch bezogenes Bett steht. Subtiler geht Karsten Födinger ein paar Räume weiter vor: Er verbindet die spiegelbildlich angelegten Zimmer 115 und 117, indem er die gemeinsame Wand der Schlaf- und Baderäume durchfenstert. Durch diesen Eingriff werden die Intimräume der Duschkabine zu einer Skulptur verbunden und zugleich der Eindruck einer Spiegelung evoziert.

Mit dem Thema der Zerstörung beschäftigt sich Nir Alon im Zimmer 121 auf hintergründige Weise: Zwei Schränke sind so gegeneinander gekippt, dass sie sich in einer fragilen Balance halten. Erleuchtete Glühbirnen dienen dabei als Lichtquellen und Stützen und formulieren eine Metapher der Hoffnung – und so ist auch der Titel „It’s Paradise here“ von Zuversicht und Hoffnung geprägt. Gleichzeitig wird eben dieses Paradies infrage gestellt, wenn auf sämtlichen Gegenständen im Zimmer, inklusive der Wände und Vorhänge, Markierungen aufgebracht sind, die an diejenigen jüdischer KZ-Häftlinge erinnern und somit einen zynischen Verweis auf ihr eigenes Ende geben: Die (Zeitschalt)uhr tickt.

Zweite Etage

Die Arbeit „Vacuum“ von Daniel Göttin zeichnet sich durch Vermessungen aus, die er mithilfe von Klebebändern ausführt. Ein Raster aus schwarzen Bändern strukturiert die Wände und die Decke des Zimmers 215 in Rechtecke. Die gesamte Wandvertäfelung, ehemals in Eichen-Optik, hat ein zweites Furnier aus silbrig glänzender Aluminiumfolie erhalten und schafft damit Distanz zur ehemaligen Raumausstattung. Quer durch den ganzen Raum sind durchsichtige Klebebänder gespannt; das fragile Material versperrt den Zutritt zum Zimmer und bestimmt – wie auch im Flur des dritten Stocks, gestaltet vom selben Künstler – ein Grenzfeld, das innen und außen, Eingeschlossensein und Ausgeschlossensein aufzeigt.

Exklusion bzw. Inklusion ist auch das Thema von Wiebke Grösch und Frank Metzger. Die im Zimmer 225 gezeigten Fotografien beschäftigen sich mit der Gestaltung und Wahrnehmung von urbanen (Um)räumen. Der Titel der Arbeit „Can you imagine the mindfuck of being locked up in a Holiday Inn?“ öffnet Assoziationen auf die Funktion des abgebildeten städtischen Umfelds: Es handelt sich um den Hochsicherheitsbereich vor einem Gefängnis. Die Verbindung von Hotel und Haftanstalt verweist auf die optische und auch funktionale Verwandtschaft; gleichwohl sich die Funktionen jeweils unterscheiden, tritt die Gemeinsamkeit dieser Heterotopien als semiöffentliche und daher symbolisch vielfach aufgeladene Transitorte hervor, die inmitten und zugleich außerhalb einer Gesellschaft als „Grenzorte“ errichtet werden.

Einen solchen „Grenzraum“ hat auch Nathan Baker im Zimmer 207 eingerichtet. Die funktionale Bedeutung des Zimmers ist aufgelöst: Strahlendweiß sind nicht nur die Wände und Fenster gestrichen, sondern auch die Möbel und der Boden. Der im Titel „Nuanced Dilemma #63“ bereits genannte Konflikt besteht aus Widersprüchen im Raum, die Fragen aufwerfen und Narrationen evozieren: Warum klingelt das Telefon, wo doch der Hörer nicht aufgelegt ist? Und das Häufchen aus Cent-Münzen in der Mitte des Zimmers, das von einer starken Lichtquelle angestrahlt wird – handelt es sich hierbei um Raubbeute? Der mittels eines Hammers erstellte Durchbruch aus dem Schrank in das Schlafzimmer und das dort zurückgelassene Corpus delicti legen eine solche Lesart nahe und zeigen einmal mehr die vielfältige Aufladung des Hotelzimmers, in dem – in Romanen und Filmen – neben amourösen Stelldicheins Verbrechen geplant und auch durchgeführt werden.

Ähnlich aufgeladen ist auch das Zimmer 205 von Reinhard Doubrawa, das komplett mit einem pastellenen Blauton überzogen ist und eine kalte Atmosphäre generiert. Weißes Licht dringt von draußen in den ansonsten unbeleuchteten Raum und erhellt den Nachbau eines einzelnen weißen Koffers mit unbekanntem Inhalt. Sein Besitzer, der Hotelgast, findet in diesem künstlichen Ambiente keinen Platz und ist abwesend. Auf diese Weise verklärt, bietet das Zimmer Stoff für fantastische, fiktionale Geschichten. Anders gelagert ist die Situation im Zimmer 211 von Andreas Lorenschat: Hier sind authentische Überbleibsel einer Performance des Künstlers zu sehen, der in einem Reinactment filmische Situationen reproduzierte. Was geschehen ist, entzieht sich der Kenntnis des Betrachters; er ist auf seine Fantasie angewiesen.

Unerklärliches passiert im Zimmer 226 von Laura Bruce: Mit Kohle ausgeführt, gewahrt man ein nicht eindeutig erkennbares Gebilde, das an Wolkenformationen oder an das Blätterdickicht eines riesigen Baumes erinnert. Von dieser Wandzeichnung ausgehend, erstreckt sich eine Lache aus zartem Pastellgrün über den Boden bis an die gegenüberliegende Wand hinauf. Aufgrund ihrer glatten Oberfläche wird die Assoziation zu einem See aufgerufen; doch ist die Form zugleich auch als Schattenwurf lesbar, den das rätselhafte Wesen auf der gegenüberliegenden Wand produziert. Im Zwiegespräch mit der Natur, die durch den Balkon noch näher an das Hotelzimmer heranrückt, erhalten Wand- und Bodenzeichnung eine raumgreifende Körperlichkeit, die etwas Idyllisches, aber auch Erschreckendes hat.

Ganz abstrakt und rational nimmt sich dagegen die Arbeit von Trevor Richards aus, die sich außerhalb der Hotelzimmer formuliert. Im öffentlichen Teil des Hotels, nämlich im Treppenhaus, sind an den Stufen zwischen erstem und zweitem Stockwerk Farbflächen aufgetragen: Orange, Blau, Gelb und Grün. Die genannten Farben sind diejenigen, die am häufigsten auf Verpackungen von australischen Konsumgütern erscheinen. Mit dieser minimalistischen Geste wird das Hotel als käufliches Produkt deklariert, das man wie Brot oder Joghurt konsumieren kann. Fernab einer symbolischen Mystifizierung des Topos Hotel wird so ein nüchterner Blick auf seine Grundfunktion als Übernachtungsstätte gelenkt.

Dritte Etage

Wer das Zimmer 301 von Christoph Dahlhausen mit dem Titel „Ein bißchen Glanz muss sein“ betritt, wähnt sich im ersten Augenblick auf dem Spiegelfeld einer Op Art-Installation. Das Setting in dem entkernten Raum und die matte Reflexion der Spiegelfolie, die den gesamten Boden des Schlafraums bedeckt, verstärkt den Eindruck des Ruins. Die durch die Spiegelung des Himmels evozierte Immaterialität des Bodens kann als eine Vorwegnahme des Abrisses des Hotels verstanden werden, und umso sarkastischer erscheint es, dass man als Besucher des Raumes dazu angehalten ist, sich nur mit Filzpantoffeln auf die Fläche zu begeben: Der Boden wird wie kostbares Schlossparkett behandelt und entgeht doch nicht seinem vorbestimmten Ende.

Die Dichotomie zwischen wertlos und wertvoll ist auch in der Videoarbeit „Flotsam“ von Tumi Magnússon im benachbarten Zimmer 303 angelegt. In verschiedenen Sequenzen sieht man rechteckige, blass-farbige Objekte, die – immer am unteren Rand der Projektion ausgerichtet und zentriert – schwerelos im Bild zu schweben scheinen. Es handelt sich um weggeworfene Gegenstände wie Plastiktüten und Verpackungen, die richtungslos in einem Gewässer driften. Die Kamera folgt allen Bewegungen, dreht und wendet sich, und verursacht so die räumliche Desorientierung des Betrachters. Der Blick auf den Rhein, der durch ein Fenster gewährt wird, stellt einen Kontext her, der die irritierenden Bilder zu erklären vermag.

Räumliche Desorientierung und Irritation sind zwei Schlagwörter, die auf die Arbeit von Nicola Schudy im Zimmer 304 Anwendung finden. Der gesamte Boden ist mit Holzdielen imitierendem Laminat ausgelegt. Dadurch, dass die Dielen nicht vertikal, sondern schrägt gekippt verlegt sind, wird ein Bewegungs- und Energie­fluss generiert, der sich am Eingang aufbaut und in der gegenüberliegenden Zimmerecke in einem Ausbruch kulminiert. Wie eine Welle türmen sich die Dielen auf und brechen sich förmlich an der Wand. Der Boden scheint sich seinem Betrachter entziehen zu wollen, und er entzieht sich gleichzeitig sich selbst – vielleicht vor der drohenden Destruktion des Raumes?

Mit dem Formenvokabular von Architekturen und Mobiliar von Stilepochen des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich Silke Brösskamp, Geka Heinke und Manuel Franke, gleichwohl sie dabei völlig unterschiedliche Wege beschreiten. Brösskamps Arbeit geht von den heutzutage als bedrückend empfundenen Formen der 1950er und 60er Jahre aus. Den einzelnen aus Pressspan hergestellten Objekten kann man keine konkrete Funktion zuordnen, auch wenn mit Filzstift in comicartiger Manier Winkel, Ansätze und Verstrebungen angedeutet sind. Lose, wie übereinander geschichtete Schollen auf dem Boden im Zimmer 322 verteilt, präsentieren sie eine Art musealen Fundus, ein Repertoire, von dem Designer heute gerne wieder Anleihen nehmen.

Ein im weiteren Sinne vergleichbarer Ansatz ist bei Geka Heinke zu beobachten, die ein Tapetenmuster aus den 1970er Jahren zu einem axonometrischen System entwickelt. Es ist so an eine Raumecke des Zimmers 305 aufgemalt, dass, von einem bestimmten Blickpunkt aus gesehen, eine glatte, nach unten gekippte Fläche entsteht, die den Raum um eine zusätzliche Ebene erweitert. Vom Zimmer 319 blickt man durch das Fenster auf die Fassade der gegenüberliegenden Oper, von der Manuel Franke einen Teil abgeformt und in Originalgröße auf eine Zimmerwand übertragen hat. Auf den ersten Blick als Spiegelung erkannt, offenbart sich das Fassadenfragment als innenarchitektonisches Element, das um 90 Grad gedreht ist. Durch die anschließende Reinstallation des Waschbeckens und des Spiegels aus den 1960er Jahren entstehen intensive spannungsreiche dialogische Strukturen zwischen dem Innen- und Außenraum.

Auf zwischenmenschliche Spannungen bezieht sich die Videoarbeit von Jan Verbeek, der im Zimmer 318 die Videoinstallation mit dem Titel „Antisymmetrisches Differenzpotential/A Perfect Couple“ zeigt. Die beiden Raumhälften sind farblich und medial als Gegenpole organisiert: Während das Video im blauen Bereich Zurückgezogenheit und in sich gekehrte Ruhe ausstrahlt, dominiert im roten Bereich mittels eines Lautsprechers aggressive verbale Energie. Trotz der räumlichen Distanz wird eine dialogische Situation evoziert, die der Betrachter jedoch erst herstellt.

Die „Blue Lantern“ von Dahlhausen schließt den Parcours durch die Hotelzimmer ab. Die blau leuchtende Neonröhre ist von außen so in einer Wandnische angebracht, dass ihr schwacher Schein durch Glasbausteinfenster dringt und das Treppenhaus erhellt. Als Gegenstück zur optisch einprägsamen Eingangshalle ist sie unaufdringlich versteckt, von keiner Seite aus direkt sichtbar, und symbolisiert ein ewiges Licht, das physische Zerstörung zu überstehen vermag.

Vierte Etage

Christine Rühmann und Sjaak Beemsterboer realisieren seit 2005 gemeinsame Projekte. In ihren Arbeiten reflektieren sie gesetzte Rahmenbedingungen und deren individuelle Wahrnehmung. Sie hinterfragen die Konzepte „Realität“ und „Fiktion“ und loten ihre Grenzen aus. HB HOTEL BEETHOVEN mit der Ausstellung «fully booked» beschließt nach HOTEL 01, MALLORCA und HOTEL 02, SCHIERMANNIKOOG im Jahr 2008 eine Hoteltrilogie – und ihr zweites gemeinsames Projekt, in dem die Heterotopie „Hotel“ zum Untersuchungsgegenstand wurde.

Im Jahr 2008 haben Rühmann/Beemsterboer das Alltagsleben des Hotel Beethoven mit einer intensiven Bestandsaufnahme des Hauses und seines Inventares begleitet. Der Wunsch entstand, das dem Abriss geweihte Gebäude in der Endphase seines Bestehens ein letztes Mal auf breiter Ebene lebendig werden zu lassen. Im Rahmen der internationalen Ausstellung «fully booked» in den bereits beschriebenen drei Etagen ist somit auch die vierte Etage bespielt worden. Der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit des Künstlerpaares liegt hierbei auf Werken mit Dokumentationscharakter und beschäftigt sich mit dem Nachleben des Hotels aus einer Innen- und zugleich Außenperspektive heraus.

In der Dachwohnung im obersten Geschoss residierten die Pächter des Hotels seit Bestehen des Hauses. Diese Wohnung hat mit ihrem wunderbaren Rheinblick etwas Hochherrschaftliches. Als Privatwohnung genutzt, grenzen sich die Räumlichkeiten funktional von den Hotelzimmern in den unteren drei Stockwerken ab, doch zugleich ergänzen sie diese als Zentrale des ganzen Hauses. Nicht zuletzt dieser Umstand wird von Rühmann/Beemsterboer durch eine Reihe von Installationen vor Ort gewürdigt.

Von einem alltäglichen, jedoch für ein Hotel elementaren Vorgang handelt das Konzept einer Videoinstallation, geplant für den ehemaligen Hauswirtschaftsraum der Pächterwohnung. Hier, wo jahrzehntelang die Hotelwäsche gelagert wurde, ist nur noch eine Holzkonstruktion, eine Art Wäscheregal, zu sehen. Anstatt akkurat gefalteter Tischdecken oder Bettwäsche, fein säuberlich sortiert, nehmen 12 Hotelfernseher den Platz ein, an dem man die Wäschestapel vermuten würde. Auf den Monitoren, die einst unzählige Nachrichten und andere Sendungen ausstrahlten, erscheint chaotisches „Schneegestöber“ – es ist Sendepause; die Signale bleiben aus, die fernsehenden Hotelgäste sind schon lange fort.

Eine andere Tätigkeit, die eng mit dem Hotel verbunden ist, ist das Briefeschreiben. Seit jeher teilen Hotelgäste ihren Angehörigen und Freunden Reiseeindrücke mit. Wenn Rühmann/Beemsterboer in ihrer Installation Hotelbriefe zeigen, sprengen und wahren sie das Briefgeheimnis gleichermaßen. Im ehemaligen Gästezimmer befinden sich mehrere Reihen von Korrespondenzen zwischen dem Hotel und seinen Mitarbeitern, die lückenlos neben- und untereinander gehängt sind. Vertikale schwarze Balken durchziehen in einem suprematistisch anmutenden Muster die ganze Wandfläche. Das zugrundeliegende System erschließt sich nach einem genaueren Blick: Alle in den Briefen genannten Namen wurden aus Datenschutzgründen geschwärzt und symbolisieren so die Semiöffentlichkeit des Hotels, das nie ganz privat, aber auch nie ganz öffentlich ist.

Der Zirkel schließt sich mit einer Arbeit, die als letzte Hommage an das Hotel gelesen werden kann sowie als Transgression der öffentlichen Einrichtung Hotel hin zur teilweisen Integration in den privaten Raum. In einem ehemals privaten Raum, nämlich im Wohnzimmer der Pächter, und somit zum Repräsentationsauftrag dieses Raumes passend, findet man an mehreren Wänden gerahmte Fotografien mit Ganzkörperportraits vor. Die einen triumphierend, die anderen verlegen, wieder andere sinnierend, blicken die Abgebildeten auf den Betrachter. Der Grund für das emotionale Farbenspiel liegt in den Attributen, die jede und jeder Portraitierte neben sich stehen hat bzw. in der Hand hält: Stühle, Lampen, Bilder, Küchenutensilien und vieles mehr. Es handelt sich um Hotelinventar, das im Zuge der Schließung veräußert wurde. Im Gegensatz zu Historiengemälden, auf denen sich ein gekröntes Haupt durch Attribute wie Krone, Mantel und Zepter auszeichnet, findet bei Rühmann/Beemsterboer eine Umkehrung statt: Der Hotelgegenstand wird porträtiert, die Person zum Attribut; nicht der abgebildete Mensch wird in seiner Funktion beschrieben, sondern das Objekt in seiner vergangenen und zukünftigen Verwendung.